Der sonnige, trockene September hat mir das Gefühl gegeben, diesmal würde der Herbst ausfallen. Wie jedes Jahr weit gefehlt! Auf einmal sind die Tage kurz, die Nase kalt und wir packen uns zum Wandern in zusätzliche Schichten. Aber kein Grund zur Klage. Wer einen Herbsttag auf der Börfinker Ochsentour verbringt, wird zum Fan von Niesel und Nebel, von Morgenrot und Dämmerung. Die mit 9 Kilometern Wegstrecke und nur 211 Höhenmetern eher gemütliche Traumschleife im Nationalpark Hunsrück-Hochwald gehört zu den Lieblingswegen meiner Familie und liegt zum Glück vor der Haustür.
Diesmal starten wir erst um viertel vor drei, weil wir auf röhrende Hirsche in der Abenddämmerung hoffen. Die gibt es im Nationalpark in großen Herden, sie brunften meist von Mitte September bis Anfang Oktober und sind auch bestimmt nicht weit. Nur das mit der natürlichen Stille ist mit Lorenz (13) und Lenni (11) so eine Sache. Wer maulfaule Teenager beherbergt und mal wieder auf den neuesten Stand gebracht werden will, muss nur raus und wandern!
Wir parken auf dem Wanderparkplatz neben dem Bunker Erwin an der K49 zwischen Börfink und Thranenweier. Durch das Holzportal geht es leicht bergauf direkt in den herrlichen Fichten-Buchenwald. Raschelnde Blätter, ein dichter Moosteppich, federnder Waldboden ... der Wald verschluckt den Alltag schon auf den ersten Metern. Lenni verschwindet im Moos und nutzt das grüne Polster für einen Kopfstand.
Kurz darauf fordert ein umgefallener Baum unwiderstehlich zum Herumkaspern auf (Hockwende ging schon mal besser, aber immerhin amüsiere ich die Kinder).
Wann wird es im Oktober noch einmal dunkel? Wir nehmen uns vor, jetzt mal forsch voran zu schreiten - das gelingt bis zur nahen Hirschquelle. Unser Rucksack ist gut gefüllt, aber kann man sich die Gelegenheit auf bachgekühlte Getränke wirklich entgehen lassen?
Trotz aller Pausen erreichen wir schließlich das Naturschutzgebiet Ochsenbruch, eines der für unsere Naturlandschaft typischen Hunsrücker Hangmoore. Ein Moorsteg schützt und erschließt diesen besonderen Naturraum.
"O schaurig ist´s übers Moor zu gehen". An nebligen Tagen ist am Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff sicher etwas dran. Wobei es hier wohl eher ein wohliger Schauer wäre, da es ein ausnehmend friedlicher Ort ist und die Torfschicht der Hunsrücker Hangmoore nur 10 oder vielleicht einmal 40 Zentimeter mächtig wird. An den Hängen des Quarzitrückens verursachen wasserstauende Schuttdecken sowie das niederschlags- und nebelreiche kühle Klima in den Höhenlagen permanent durchfeuchtete Gebiete, in denen abgestorbene Pflanzen nicht zersetzt, sondern zu Torf werden. Heute wirkt das Moor bunt und freundlich. Mit Wiedervernässungs- und Renaturierungsmaßnahmen sollen die Folgen der Entwässerung und Aufforstung des 19. und 20. Jahrhunderts rückgängig gemacht und das Ochsenbruch als Lebensraum, Kohlenstoff- und Wasserspeicher in Wert gesetzt werden.
Jetzt verläuft die Traumschleife ein gutes Stück auf dem Saar-Hunsrück-Steig. Nach der Stegpassage nutzen wir eine schöne Bankgruppe mit Moorblick, um den Rucksack zu plündern. 9 Kilometer schafft man auch ohne Picknick - aber es wär nur halb so schön!
Gestärkt wandern wir eine halbe Stunde durch den herbstlichen Buchenwald zum Ochsenstall.
Ab dieser liebevoll restaurierten Hütte, die heute nicht mehr Nutztieren, sondern Wanderern Schutz und Rastmöglichkeit bietet, geht es über weite Wiesen Richtung Forellenhof.
Da die Wiesen Naturschutzgebiet und Futterquelle für Nutztiere sind, bleiben wir auf dem Pfad und nehmen Paul an die Leine. Hier finden Untersuchungen zur Insekten-Biodiversität statt und es lohnt sich, nach den spannenden Insektenfallen und besonderen Arten Ausschau zu halten.
Im Tal angekommen führen Trittsteine über die Traun. Was heute locker geht, kann nach längerer Regenzeit schon mal spannend werden. Heute gibt es keinen Adrenalinkick und die Füße bleiben trocken.
Der geschotterte, breite Weg am Bach entlang führt bis zu den Forellenteichen. Wer ein Stück schlendern und "majen" möchte, kann einfach darauf weiter gehen. Wir haben aber Lust auf Pfad und biegen rechts in den Wald ab. Zum Forellenhof und dem zweiten Portal der Ochsentour führen beide Wege. Die Kilometrierung der Börfinker Ochsentour startet hier, aber es gibt weniger Wanderparkplätze als am Bunker Erwin. Für eine fangfrische Trauntalforelle fehlt uns heute leider die Zeit. Im Frühling haben wir hier schon öfter Fischadler beobachtet, die den reich gedeckten Teich zu schätzen wissen.
Wir queren die Straße (wer auf dem breiten Weg geblieben ist, darf jetzt nicht am Forellenhof durch das Portal hoch in den Wald gehen) und nutzen das breitere Wegstück, um nebeneinander zu gehen.
Ein schmaler Pfad biegt zur Traun und zu einem verwunschenen Lieblingsplätzchen ab.
An warmen Tagen kann man hier plantschen, an allen Tagen zur Ruhe kommen. Im Hintergrund liegt das Gasthaus Alte Mühle - idyllischer geht es gar nicht.
Unser nächstes Ziel ist das Nationalpark-Denkmal. Vor allem für Gruppen ist es ein schöner Rastplatz, weil hier eine neue Wanderhütte steht.
Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf dem Wiesenpfad am Waldrand, bevor die Traumschleife zurück in den Wald führt.
Es ist fast 18 Uhr und unter den Fichten ganz schön duster. Die Fliegenpilze leuchten richtig in all dem Grün und Braun. Dieses Jahr steht mehr als "ein Männlein im Walde".
Wir sind nicht die einzigen späten Wanderer - an der Quelle "Gute Bure" treffen wir eine kleine Gruppe, die wohl auch "auf der Pirsch" ist. Jetzt sind wir fast zurück am Wanderparkplatz.
Wir überqueren die abenteuerliche Stammbrücke (Paul ist kein Muthund und nimmt lieber die Furt) sowie die K49 und sind um halb sieben zurück am Wanderparkplatz. Leider haben wir heute keinen schaurig-schönen Brunftruf der majestätischen Hirsche gehört. Ich fürchte, auch der motivierteste Hirsch kommt nicht zu Wort, wenn wir im Erzählmodus sind. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Und wenn alle Stricke reißen, setzen wir auf Profis und schließen uns nächstes Jahr einfach einer der geführten Ranger- und Nationalparkführer-Touren an.
Die Traumschleife Börfinker Ochsentour ist auch ohne Hirsche und zu jeder Jahreszeit eine Wanderung, die einfach guttut. Schließlich ist das Waldgebiet nicht umsonst 2015 zum ersten und einzigen rheinland-pfälzisch-saarländischen Nationalpark erkoren worden. Sie kommt ohne kräftezehrende Steigungen aus und bietet viele Rast- sowie gleich zwei Einkehrmöglichkeiten. Für Kinderwägen ist sie wegen schmaler Pfadpassagen und Bachquerungen nicht geeignet, für bewegungsfreudige Kinder und ausgewachsene Wanderer aber umso mehr.